Zeichnen, die Sprache des Ingenieurs

Bereits vor der Entstehung der Berufsschule von Freiburg ist ihr Gründer Léon Genoud überzeugt, dass das Zeichnen in der Ausbildung der Techniker eine wichtige Rolle spielen soll. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf besucht er 1887 das Technikum von Winterthur, um dort Kurse in technischem Zeichnen zu belegen, die er alsbald auch in Freiburg einführt. 1894-1895 bietet das Industriemuseum bereits Zuschneidekurse für Schneiderinnen sowie Mal- und Zeichenkurse an, die von der Société fribourgeoise des ingénieurs et architectes durchgeführt werden. Parallel dazu werden auch Ausbildungskurse für Zeichenlehrer eingeführt. Diese ersten Schritte in Richtung Zeichenunterricht vor der Gründung der Schule unterstreichen die zentrale Rolle, die dieser in der Ausbildung der Ingenieure hat und haben wird.

Professionelles Zeichnen und Ferdinand Hodler

Der Zeichenunterricht wird in Freiburg erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt. Er hat sich hauptsächlich über die Berufsausbildung entwickelt[1]. Anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums des Technikums unterstreicht Jean Berchier, Zeichenlehrer, seine Bedeutung:

Zeichnen ist eine Wissenschaft, deren Regeln auf den exakten Prinzipien der Geometrie beruhen. Es ist ein kraftvolles Ausdrucksmittel, nützlich für jeden, jedoch unverzichtbar für den Techniker. Zeichnen muss für ihn eine Sprache sein, die er mit Leichtigkeit benutzt […][2]

In den ersten beiden Semestern ist Zeichnen für alle Studierenden unabhängig von ihrer Fachrichtung obligatorisch. Das erklärt auch, weshalb von den rund zwanzig, für das Schuljahr 1910-1911 eingestellten Lehrern beinahe die Hälfte Zeichenlehrer waren. Dazu Génoud:

Im Berufsunterricht sind unsere Schüler die meiste Zeit mit Zeichnen beschäftigt. Wir müssen unseren Schülern das Zeichnen wie Kalligraphie beibringen, der Arbeiter muss ebenso gut zeichnen wie schreiben können.[3]

Lehrer in einer Werkstatt am Technicum um 1905
© Bibliothèque cantonale et universitaire Fribourg. Fonds Louis Sottaz

Um seine jungen Techniker auszubilden, fragt Genoud seinen Freund Barthélémy Menn um Rat[4]. Dieser legt ihm nahe, einen seiner Schüler anzustellen. Es handelt sich um den jungen Ferdinand Hodler, dem eine vielversprechende Zukunft vorausgesagt wird. Zum Zeitpunkt, als der Berner Maler seine Lehrerstelle an der Schule antritt, Als der Berner Maler als Lehrer an der Schule angestellt wird, hat er seinen Durchbruch jedoch noch nicht geschafft[5].

Unbekannter Fotograf, Ferdinand Hodler in seinem Atelier in der Grand Rue 35 in Genf, 1897.
Silbergelatineabzug, 118 x 165 mm.
Genf, Jura Brüschweiler Archiv, Inv. FH-3010-0028.
Jura Brüschweiler Archiv, Genf
« L’arbre fleuri », von Ferdinand Hodler, ca. 1899
© MAHF/Primula Bosshard – Dépôt de la Société des Amis des Beaux-Arts

Ab dem Schuljahr 1897 erteilt Hodler zweimal wöchentlich Malunterricht, der sich mit dem «Studium der Formen, Farben und auch der Figuren» befasst[6]. Im Frühling 1898 präsentiert das Technikum eine Ausstellung mit Arbeiten der Schüler des Malers. Mehrere der jungen Maler zeichnen sich besonders aus, darunter Oswald Pilloud, der später als Zeichenlehrer an der Schule tätig sein wird.

Selbstbildnis von Oswald Pilloud, ca. 1921/22.
©MAHF/Primula Bosshard

Die im Haushaltungskurs eingeschriebenen Schülerinnen besuchen den Zeichenunterricht ebenfalls. Dessen Hauptziel ist es, sie in die Herstellung von Kleidungsstücken und Dekorationsobjekten einzuführen. Den Mädchen soll eine Berufsausbildung ermöglicht werden: «Die moderne Schule sollte den Mädchen einen Beruf schmackhaft machen, der es ihnen erlaubt, von ihrer Arbeit zu leben.»[7] Es wäre falsch, aus diesen Worten herauszulesen, dass der Direktor ein Frauenrechtler gewesen wäre. Er stellt umgehend klar:

Die Mädchen müssen nach dem Verlassen der Primarschule weiterbildende Kurse besuchen, zu denen in erster Linie die Hauswirtschaft gehört. […] Zeichenkenntnisse erlauben es der zukünftigen Ehefrau, ihr Heim besser einzurichten, es durch eine harmonische Farbgebung und eine stimmige Anordnung der Möbel schöner zu gestalten […][8]

Hinwendung zur christlichen Kunst

Wie bereits erwähnt, nimmt der Zeichenunterricht in der Ausbildung der Ingenieure eine wichtige Rolle ein. François Riedo, stellvertretender Direktor an der HTA-Fr von 1984 bis 2007, sagt dazu: «Zeichnerisch etwas darzustellen, heisst bereits, etwas zu entwerfen». Der Ingenieur entwirft seine Werke mit dem Bleistift von Hand.

Parallel dazu wird 1902 eine Ecole d’arts décoratifs (Kunstgewerbeschule) eröffnet, um die traditionellen Künste in der Schule weiterzuentwickeln. Zunächst ist der Unterricht vor allem theoretischer Art[9].

Bildhauerklasse am Kantonalen Technicum, ca. 1903
© Bibliothèque cantonale et universitaire Fribourg. Fonds Prosper Paul Macherel

1909 wird die Schule reformiert und sämtliche Aktivitäten und Kurse auf die religiöse Kunst ausgerichtet:

In der katholischen Stadt Freiburg braucht es eine klar katholisch geprägte Kunstgewerbeschule. Es braucht eine Schule für dekorative Malerei, eine Schule für Bildhauerei, eine Schule für Kunsttischlerei, eine Schule für Kunstschlosserei, eine Schule für Goldschmiedekunst und Ziselierung und eine Schule für Stickerei.[10]

Am 7. August 1908 genehmigt der Staatsrat die folgende Organisation:

  • (Werkstatt-Schule für dekorative Kunst);
  • (Werkstatt-Schule für Bildhauerei);
  • (Werkstatt-Schule für Stickerei);
  • (Werkstatt-Schule für Goldschmiedekunst);
  • (Kunsthandwerk-Abteilungen für Frauen).

Die Christliche Republik in Freiburg benötigt katholische Kunsthandwerker, um ihre Kirchen zu renovieren und auszuschmücken, glaubt Genoud. In diesem Sinne werden die Schüler in Holz- und Steinbildhauerei, religiöser Goldschmiedekunst, Kunstschlosserei usw. ausgebildet.

Trotz Werbung mangelt es an Aufträgen. Einzig die Kirche von Plaffeien wird von Oswald Pilloud und seinen Schülern ausgestaltet.

Kunsthandwerk von Frauen

Die Section d’ouvrages artistiques féminins wird im Jolimont eröffnet. Das Gebäude umfasst eine Werkstatt für Goldschmiedekunst, eine Werkstatt für Stickerei, ein Zeichensaal sowie eine spezielle Werkstatt, in der die jungen Frauen Kupfer- und Lederarbeiten ausführen[11].

Von den rund fünfzig wöchentlichen Unterrichtsstunden arbeiten die Schülerinnen ungefähr dreissig Stunden in der Werkstatt. Die Ausbildung zur Stickerin und Klöpplerin dauert drei Jahre, jene zur Goldschmiedin ein Jahr länger.

Millasson berichtet, dass die von den Schülerinnen im Jolimont hergestellten Objekte im ganzen Kanton für ihre gute Verarbeitung bekannt sind. Die jungen Frauen stellen Messgewänder, Banner, Fahnen, Wäsche, Spitzen, Vasen, Monstranzen, Lampen usw. her[12].

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[1] Pilloud, Oswald, et al, Oswald Pilloud: un lumineux coloriste, Pro Fribourg, 2015, S. 53

[2] Genoud, Léon, Le Technicum de Fribourg: école des arts et métiers, Impr. Fragnière, 1921, S. 93

[3] Genoud, Léon, L’organisation des cours professionnels pour apprentis des métiers en Suisse, 1903 <

  Pilloud, Oswald, et al., Oswald Pilloud: un lumineux coloriste, Pro Fribourg, 2015

[4] Hodler, Ferdinand, et al., Hodler und Freiburg: die Mission des Künstlers: Ausstellung im Museum für Kunst und Geschichte in Freiburg, 11.6 – 20.9.1981: [Katalog]. Benteli Verlag, 1981, S. 21

[5] Ebd., S. 8-9

[6] Ebd., S. 11

[7] Genoud, Léon, L’enseignement du dessin adapté aux besoins spéciaux des écoles ménagères, Enseignement ménager, congrès de Fribourg, 1908, S. 1

[8] Genoud, Léon, ebd. S. 1.

[9] Genoud, Léon, ebd., S. 93

[10] Genoud, Léon, ebd., S. 34

[11] Millasson, Michel, Histoire du Technicum, document de base, unveröffentlicht, 1993, S.46

[12] Ebd.