«Das Ziel ist eine Wertschöpfung für die gesamte Gesellschaft»

Am Ende des Jubiläumsjahrs der Hochschule für Technik und Architektur Freiburg neigt sich auch unser spannendes Abenteuer quer durch die reiche Geschichte der Institution von 1896 bis 2021 dem Ende zu.

Abschliessend lassen wir in diesem Blog Jean-Nicolas Aebischer zu Wort kommen, der die Schule seit 2012 leitet. Er spricht von den engen Beziehungen, die zwischen seiner Schule und der Freiburger Gesellschaft mehr denn je bestehen, den grossen Veränderungen der letzten zehn Jahre und seinen Zukunftsvisionen.

2012 schrieben Sie, dass es zum Wesen der Schule gehöre, «aktiv an der Veränderung der Welt mitzuwirken». Was sind 2021 die wichtigsten Veränderungen, an denen die HTA-FR beteiligt ist?

Durch unsere beiden Kernaktivitäten, die Lehre und die Forschung, die nebeneinander existieren und bezeichnend für den dualen Auftrag einer Hochschule sind, bilden wir die Akteurinnen und Akteure der architektonischen, städtebaulichen und technologischen Entwicklung in verschiedenen Bereichen aus.

Allerdings ist weder die Architektur noch die Technik ein Selbstzweck. Das Ziel ist eine Wertschöpfung für die ganze Gesellschaft, wobei selbstverständlich eine nachhaltige Entwicklung mit ihren drei Dimensionen Wirtschaft, Ökologie und Gesellschaft angestrebt wird.

Die grossen Herausforderungen wie Klimawandel, Energieversorgung, physische Sicherheit und Cybersicherheit, Gesundheit, Ernährung und Mobilität erfordern allesamt eine Beherrschung der Technologien und die Kreativität der Ingenieur:innen und Architekt:innen.

Sie sind es, die die reale und virtuelle Welt, in der wir leben, gestalten. Eine Hochschule muss ihren Verantwortungssinn oder, anders ausgedrückt, ihre Freiheit entwickeln, denn das eine existiert nicht ohne das andere. In diesem Sinne beteiligt sich unsere Schule aktiv an der Veränderung der Welt.

In der gesamten, in diesem Blog erzählten Geschichte der Schule haben wir gezeigt, wie sie zu jeder Zeit im Dienste der Freiburger Gesellschaft stand. Welchen Einfluss hat sie heute auf die Aktivitäten des Kantons?

Talente entwickeln, Potenziale freisetzen, den Unternehmergeist fördern, Interessen wecken: Das ist unsere Rolle, um die Innovationskraft und die Erneuerung unseres Kantons zu fördern. Die Studiengänge richten sich nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und geben den zukünftigen Akteurinnen und Akteuren zugleich das nötige Rüstzeug in die Hand, um sich insbesondere anhand methodischer und wissenschaftlicher Kompetenzen ständig weiterzuentwickeln. Das Leitmotiv lautet: Wissen und praktisches Know-how, die zu einem konzeptionellen Verständnis führen, das Kreativität auf der Grundlage wissenschaftlicher Methoden ermöglicht. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit dem wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Gefüge unseres Kantons und unserer Region. Zudem ist die HTA-FR ein integraler Bestandteil der HES-SO: Sie arbeitet aktiv mit den anderen Schulen des Bereichs Ingenieurwesen und Architektur der HES-SO zusammen.

Durch unsere Aktivitäten im Bereich der angewandten Forschung, die fast ausschliesslich in Zusammenarbeit mit Unternehmen der Region erfolgen, ermutigen wir diese, Chancen zu nutzen und das Risiko einzugehen, durch gemeinsame Forschungsprojekte neue Produkte und Prozesse auszuloten. Spezifische öffentliche Finanzierungsinstrumente wie Innosuisse unterstützen diese Zusammenarbeit.

Schliesslich ist zu erwähnen, dass die HES-SO//FR und damit auch die HTA-FR der Volkswirtschaftsdirektion unterstellt sind, was das Verständnis des Innovationssystems zugunsten eines Höchstmasses an Kohärenz fördert. Dieser systemische Ansatz ist bezeichnend für die immense Arbeit von Jacques Bersier, mit dem ich fast zehn Jahre lang zusammenarbeiten durfte. Ich habe sehr geschätzt, dass er uns in unserem Bestreben unterstützt hat, Einfluss auf die Innovationskraft in unserem Kanton zu nehmen.

Wie würden Sie die Prioritäten der Schule beschreiben?

Die FH haben den gesetzlichen Auftrag, angewandte Forschung zu betreiben, indem sie mit der lokalen Wirtschaft und anderen Hochschulen zusammenarbeiten. Wir sind besonders gut aufgestellt, um im Rahmen des Smart Living Lab aktiv mit der Universität Freiburg und dem Freiburger Standort der EPFL zusammenzuarbeiten.

Zu unterstreichen ist auch die pädagogische Bedeutung der Forschung. Wir programmieren keine intelligenten zweibeinigen Roboter, sondern bilden Ingenieur:innen und Architekt:innen aus, die Probleme analysieren und nachhaltige Lösungen vorschlagen können. Um ihre Urteilsfähigkeit zu fördern, lassen wir sie an unseren Forschungsprojekten mitwirken. Wissen zu schaffen bedeutet, zu versuchen, Hypothesen zu falsifizieren und Beobachtungen zu überprüfen und gegenzuprüfen. Das Leben von Ingenieur:innen ist untrennbar damit verbunden, mit Zweifeln und einem Bewusstsein für das Restrisiko zu leben. Die Stärkung der Dualität Lehre und Forschung ist daher eine Priorität.

Was sind wichtigsten Veränderungen seit Ihrem Amtsantritt?

Da gibt es viele. So mussten wir beispielsweise unsere Funktionsweise an die neuen Vorschriften des Fachhochschulgesetzes und des kantonalen Gesetzes über die HES-SO//FR anpassen. Insbesondere müssen die Professor:innen nun 20 % ihrer Zeit für einen Teil der aF&E aufwenden, was es uns erlaubt hat, den Arbeitsaufwand und die Zeit für die Lehr- und Forschungsaufgaben wieder in ein Gleichgewicht zu bringen. Um die Wirkung unserer angewandten Forschung zu gewährleisten und sie weiterzuentwickeln, haben wir Institute und Kompetenzzentren geschaffen und im Rahmen des Smart Living Lab im Innovationsquartier blueFACTORY eine ausgezeichnete Zusammenarbeit mit dem Freiburger Standort der EPFL und der Universität Freiburg aufgebaut. Wir haben zudem wertvolle Kontakte mit lokalen Partnern geknüpft, um die Interdisziplinarität unserer Ausbildungen zu entwickeln, die wir weiter vorantreiben. Ein Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Gründung der Motion Control Academy mit Polytype, CPAutomation und Boschung SA. Wir konnten auch Firmen gründen, wie das Biofactory Competence Center (BCC) oder CertX. BCC bietet spezifische und massgeschneiderte Ausbildungsleistungen an und unterstützt die Innovationspolitik des Kantons Freiburg im Biopharma-Bereich. CertX ist ein Unternehmen, das bei der Schweizerischen Akkreditierungsstelle (SAS) akkreditiert ist und sich auf die Zertifizierung von funktioneller Sicherheit und die Cybersicherheit spezialisiert hat. Als solches fördert es die Innovation von Firmen, die ihre Produkte und Dienstleistungen zertifizieren müssen. Die Gründung von Start-ups ist ebenfalls eine Möglichkeit, das in die Hochschulen investierte öffentliche Geld gewinnbringend einzusetzen.

Im Rahmen des von der HES-SO geforderten und organisierten Selbstevaluationsprozesses der Studiengänge wirken unsere Studiengänge aktiv an der Entwicklung der Qualität unserer Lehrprogramme mit. Damit ist es uns auch möglich, das Label EUR-ACE zu erlangen, wie es der Studiengang Chemie gezeigt hat. Auf diese Weise erreichen wir eine gewisse Sichtbarkeit und eine internationale Glaubwürdigkeit, die für die Entwicklung unserer Schule von zentraler Bedeutung sind.

Unsere Studierenden haben eine weitere grössere Veränderung bewirkt. Wir haben bemerkt, dass sie sich zunehmend Sorgen um unseren Planeten machen. Wir möchten diese ausgeprägte Sensibilität nutzen, um die Rolle von Ingenieur:innen und Architekt:innen für eine nachhaltige Entwicklung aufzuzeigen. Effizienz war schon immer ein wichtiges Anliegen der Ingenieur:innen. Beim Thema Energie- und Rohstoffeffizienz geht es automatisch immer auch um die grundlegenden Fragen der nachhaltigen Entwicklung.

Wir haben in diesem Blog bereits gesehen, dass es lange dauerte, bis sich die Zweisprachigkeit durchsetzen konnte. Sie sind im Übrigen der erste deutschsprachige Direktor in der Geschichte der Schule. Wie beurteilen Sie den aktuellen „Stand“ der Zweisprachigkeit?

Alles, was im Zusammenhang mit der Zweisprachigkeit eingeführt wurde, verdanken wir Michel Rast. Seit seinem Ausscheiden aus der Schule konnten wir diesen Aspekt leider nicht mehr so stark weiterentwickeln, wie wir es uns gewünscht hätten. Die eingeführten Neuerungen konnten gefestigt und moderat vorangetrieben werden. Es ist nun aber an der Zeit, eine entschiedenere Zweisprachigkeit anzustreben, insbesondere, indem wir den französischsprachigen Studierenden die Möglichkeit bieten, ein Fach auf Deutsch zu erlernen.

In einem multiethnischen und multikonfessionellen Staat wie die Schweiz braucht die Bevölkerung Elemente für den Zusammenhalt. Dazu gehört auch die Fähigkeit, Gedanken und Überlegungen auszutauschen, was hauptsächlich über Sprachkenntnisse geschieht. Unserer Schule hat eine Rolle an der Schnittstelle unserer beiden Sprachen und zwischen zwei Kulturen zu spielen.

Welche Dossiers liegen heute auf Ihrem Schreibtisch? Welches sind die Herausforderungen für die Schule bis 2030?

Das grosse Thema ist die Infrastruktur. Dank François Hemmer und seinem guten Draht zu Staatsrat Edouard Gremaud konnte die Schule in den 90er-Jahren grosszügige Gebäude von hervorragender Qualität und mit einer gewissen Reservekapazität bauen. Mit den gemieteten Räumlichkeiten an den Standorten Beauregard, blueFACTORY, Rte des Arsenaux, Rte de la Fonderie und im Marly Innovation Center breitet sich die HTA-FR weiter aus. Dadurch konnten wir mit den wachsenden Studierendenzahlen und der Entwicklung unserer Aktivitäten im Bereich der angewandten Forschung Schritt halten. Aber wir laufen Gefahr, an Zusammenhalt und Effizienz zu verlieren. Auf der anderen Seite nutzen wir die Lernumgebung nicht mehr auf die gleiche Art und Weise wie noch vor 30 Jahren, vor der digitalen Revolution.

In diesem Sinne begrüssen wir den künftigen Umzug der Architektur in die Halle Grise auf dem blueFACTORY-Gelände, der auch den Vorteil hat, näher am Smart Living Lab zu sein, dem Projekt der EPFL, UNIFR und der HTA-FR.

Die pädagogische Frage ist eine weitere Herausforderung für die Zukunft: Wie kann die dreijährige Bachelorausbildung bestmöglich genutzt werden, um die Ingenieur:innen und Architekt:innen auf ihre erste Stelle vorzubereiten und ihnen gleichzeitig das Rüstzeug für ihre Entwicklung während ihrer gesamten Karriere in die Hand zu geben?

Die grösste Herausforderung für die Zukunft besteht letztlich darin, Talente anzuziehen und zu entwickeln. Um Anwärter:innen für Studiengänge zu gewinnen, müssen wir wahrscheinlich vermehrt über die Perspektiven kommunizieren, beispielsweise über unsere Forschungsaktivitäten und den Zweck des Ingenieurwesens und der Architektur, insbesondere über ihre Bedeutung für die nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft.


Die Arbeit von Ingenieur:innen und Architekt:innen ist sinnvoll und wichtig

Unter dem Einfluss digitaler Technologien wird die Gesellschaft in Kategorien von like-minded aufgespaltet und bekundet immer mehr Mühe, als Kollektiv zu handeln. Es entsteht eine Form der Diktatur von Minderheiten. Eine Hochschule ist auch verpflichtet, die Einzigartigkeit von Individuen anzuerkennen und davon ausgehend alles zu identifizieren, was sie verbindet, um eine kohärente und solidarische Gesellschaft aufzubauen und die grossen Probleme anzugehen. Wir sind alle unterschiedlich und haben auch ein Recht darauf. Wie können wir jedoch auf dieser Grundlage danach suchen, was uns verbindet, anstatt immer nur das wahrzunehmen, was uns voneinander trennt?

Es ist unsere Pflicht, als Hochschule zu sagen: Sei so, wie du bist, aber versuche, in dem Bereich, in dem du tätig bist, mit deinen Kompetenzen und im Sinne der Nachhaltigkeit zum Wohl der Gesellschaft beizutragen. Selbstverständlich müssen wir unsere Absolventinnen und Absolventen mit den soliden Grundlagen wissenschaftlicher Konzepte und mit fachlichen und kommunikativen Fähigkeiten ausstatten, damit sie sich ohne grössere Schwierigkeiten in den Arbeitsmarkt eingliedern. Wir bringen jedoch keine Produktionsfaktoren für eine zunehmend hektische Wirtschaft auf den Markt. Ingenieur:innen und die Architekt:innen müssen dem Leben dienen, sie sind Menschen und verantwortungsbewusste Mitglieder einer nachhaltigen Gesellschaft. Sie sind da, um etwas zu erschaffen, daher ist es unsere pädagogische Aufgabe, ihnen die Rolle bewusst zu machen, die sie zu spielen haben. Wir müssen ihnen das Bewusstsein vermitteln, dass ihre Arbeit sinnvoll ist, sie den Wandel aktiv mitgestalten und unverzichtbar sind.

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