Florinel Radu entwirft den Wohnraum der Zukunft

Er wohnt in der Stadt, pendelt mit öffentlichen Verkehrsmitteln und hat in seinem Institut kein eigenes Büro, weil er von Sitzung zu Sitzung rennt. Es geht um Florinel Radu, Architekt, Stadtplaner und ordentlicher Professor an der HTA-FR. Von 2013 bis 2021 hat er das Institut TRANSFORM geleitet und beantwortet heute unsere Fragen zur zukünftigen Wohnraumnutzung.

Welchen Einfluss haben die Nutzerinnen und Nutzer im Bereich Wohnraum und Bau auf Nachhaltigkeitsaspekte?

Menschliche Aktivitäten üben Druck auf die natürlichen Ressourcen des Planeten aus. Dieser Druck wird mit der Ökobilanz gemessen. Klima- und Diversitätsprobleme bestehen also aufgrund menschlicher Aktivitäten. Eine nachhaltige Lebensweise reduziert den Einfluss des Menschen auf die Umwelt. Das nennt man Nachhaltigkeit.

Die Aktivitäten und Verhaltensweisen der Nutzerinnen und Nutzer, insbesondere in Bezug auf Wohnraum und Mobilität, sind Teil der Probleme im Kontext der Nachhaltigkeit. Dieser Zusammenhang ist offensichtlich, dennoch wird dieses Thema nur sehr wenig behandelt.

Aus welchem Grund wird die Frage der Nachhaltigkeit Ihrer Meinung nach manchmal vernachlässigt?

Die Schweiz ist den Pariser Vereinbarungen verpflichtet, aber wir leben in einem demokratischen Land. Wichtige Entscheidungen zum Wandel in Richtung Nachhaltigkeit müssen von der Bevölkerung bestätigt werden. Das macht es schwierig, das Thema Nachhaltigkeit anzugehen, weil es schnell die private Sphäre berührt. Die jüngste Ablehnung des CO2-Gesetzes ist ein Beweis dafür. Ausserdem sind die grundlegenden Probleme systemisch. Die Einzelperson hat einen Einfluss auf die Nachhaltigkeit, aber die Wirtschaft ist ebenfalls involviert und ihre gegenseitige Abhängigkeit ist nicht leicht zu entwirren. 

Um eine Veränderung der individuellen Lebensweisen und der Funktionsweise der Wirtschaft zu erreichen, sind individuelle und kollektive Anstrengungen und mitunter sogar eine Verminderung unseres Komforts notwendig. In einem demokratischen System kann eine solche Veränderung nicht vorgeschrieben werden, daher sind die vorgeschlagenen Massnahmen eher vorsichtig: Steuern, Anreize, Wünsche. Ein sensibles, aber dennoch wichtiges Thema.

Welche Rolle spielen Architektinnen und Stadtplaner in diesem Kontext?

Durch die Gestaltung von Gebäuden und die Organisation von Stadtquartieren berühren Architekten und Stadtplanerinnen verschiedene Aspekte, die von den Nutzerinnen und Nutzern bis zur Technik reichen und eine ganzheitliche Sichtweise erfordern. Am Institut TRANSFORM ist die Interaktion zwischen Ort und Nutzerinnen und Nutzern im Kontext der Nachhaltigkeit der Forschungsschwerpunkt, an dem wir seit zehn Jahren arbeiten. Wir führen Forschungsprojekte zu nachhaltigen Quartieren durch. Wir untersuchen den problematischen Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Bewohnerinnen und Bewohner und Fragen der Nachhaltigkeit.

Mit welchen Herausforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit sind Sie im Bereich Architektur und Stadtplanung konfrontiert?

In den letzten Jahrzehnten hat die Forschung zahlreiche technische Innovationen hervorgebracht. Technische Mittel erreichen jedoch keine Nachhaltigkeitsziele, wenn sie nicht hinreichend auf die Nutzerinnen und Nutzer abgestimmt sind.

Beispielsweise sind Geräte, die eine automatische Regelung von Heizungen ermöglichen, ein Mittel zur Senkung des Energieverbrauchs. Gleichzeitig müssen aber auch die Bewohnerinnen und Bewohner ihr Verhalten entsprechend den von den Geräten gelieferten Daten anpassen. Technik allein reicht nicht.

Ein zweites Beispiel verdeutlicht diese Verbindung zwischen Technik und Mensch. Deutschland hat sich der energetischen Sanierung eines grossen Teils seiner Gebäude mit technischen Lösungen verpflichtet. Trotz milliardenschwerer Investitionen wurde keine CO2-Senkung erreicht. Der Grund dafür liegt bei den Nutzern: Trotz verbesserter Wärmedämmung haben die Bewohnerinnen und Bewohner die Temperatur in ihren Wohnungen einfach erhöht.

Smart Building

Die Beispiele zeigen, dass zusätzlich zu den technischen Lösungen ein besseres Verständnis der Nutzerinnen und Nutzer notwendig ist – wo und wie leben sie gerne, und unter welchen Bedingungen würden sie eine Änderung ihres Verhaltens akzeptieren? Wir sprechen hier vom Smart Building (das übrigens auch ein Lehrschwerpunkt unseres Studiengangs ist), wobei der Begriff „smart“ sowohl die Gestaltung des Gebäudes (insbesondere im Rahmen eines Low-Tech-Ansatzes) als auch die in seine Nutzung involvierte kollektive Intelligenz umfasst.

Welche Lösungen untersuchen Sie, um die Nutzerinnen und Nutzer zu einer Änderung ihres Verhaltens am Arbeitsplatz zu bewegen?

Wir berücksichtigen die Frage des Komforts am Arbeitsplatz. Temperatur, Licht, Belüftung, Lärm – in einem Grossraumbüro haben nicht alle die gleichen Wünsche. Wir sind alle verschieden, abhängig von unserem Stoffwechsel, unserer Empfindsamkeit oder unseren Erfahrungen. Ausgehend von diesen unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnissen in Bezug auf Komfort haben wir verstanden, dass wir den Gedanken aufgeben müssen, dass Arbeitsbedingungen für alle gleich sein sollten.

Unterschiedliche Arbeitsweisen

Diese Erkenntnis hat uns dazu veranlasst, verschiedene Typen von Arbeitnehmenden zu untersuchen. Es gibt zum Beispiel Menschen, die am Computer arbeiten, ohne sich zu bewegen, und andere, die ständig in Sitzungen sind und sich viel bewegen. Ich gehöre zur zweiten Kategorie. Bei ersteren geht es um die Sicherstellung komfortabler Bedingungen am Arbeitsplatz (Sitz, Licht, Ruhe). Wer unterwegs ist, braucht keinen festen Sitzplatz. Es macht keinen Sinn, einen Platz für zwei Stunden in der Woche zu besetzen. Ich persönlich habe kein eigenes Büro am Institut TRANSFORM.

Empfinden erfassen

Wir haben eine Software entwickelt, mit der man zwei Mal pro Tag sein Empfinden bezüglich der Arbeitsbedingungen und seiner zwischenmenschlichen Beziehungen aufzeichnen kann. Damit können Unterschiede berücksichtigt und eine Diskussionsgrundlage für das Team geschaffen werden, um geeignete Kompromisse zu finden. Die Frage nach dem individuellen Komfort wird so in einen kollektiven Rahmen gestellt, denn es geht um den nachhaltigen Komfort aller Beteiligten.

Und auf Quartierebene?

Die gleiche Logik, die Vielfalt der Bewohnerinnen und Bewohner zu berücksichtigen, wird auf Quartiersebene angewendet. Wir haben uns auf die soziologische Forschung gestützt, die feststellt, dass wir nicht alle die gleiche Lebensweise haben. Ob in einer städtischen Umgebung oder auf dem Land, die Lebensstile sind unterschiedlich.

Ich wohne beispielsweise in Lausanne in der Nähe der Metro, so dass ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit in Freiburg fahren kann. Würde ich auf dem Land wohnen, wo die Wohnkosten niedriger sind, würde ich ein Auto nutzen und damit CO2 produzieren.

Für einige hat der Wunsch, an einem isolierten Ort zu leben, Priorität. Ist es für andere Naturliebhaberinnen und -liebhaber möglich, naturnahe Bedingungen auch anderswo als auf dem Land zu finden? Die Antwort lautet ja. Es gibt in der Stadt neue Quartiere, oder Quartiere, die sich in einem Umwandlungsprozess befinden, in denen man Ruhe und eine ansprechende Umgebung finden kann.

Anreize für Veränderung schaffen

Wir sagen nicht, dass alle sich auf gleiche Weise verändern müssen und dass es nur eine richtige Lebensweise gibt. Wir glauben, dass wir der Tatsache Rechnung tragen müssen, dass wir alle verschieden sind. Im Wohnraum und im Quartier müssen die Lösungen an die unterschiedlichen Bedürfnisse und Lebensstile angepasst werden. 

Es ist vorstellbar, jeder und jedem den Raum anzubieten, den sie oder er bevorzugt, mit unterschiedlichen Eigenschaften. So stellen wir uns vor, Verhaltensweisen im Laufe der Zeit zu ändern. Menschen vom Land wollen vielleicht eines Tages in der Stadt leben, wo sie genügend Natur, urbane Gemüsegärten und bezahlbare Mieten vorfinden, ohne zur Arbeit pendeln zu müssen.

Wie stellen Sie sich den Wohnraum der Zukunft vor?

Verstädterung und die Sehnsucht nach Natur

Die Schweiz wird immer urbaner, nicht zuletzt aufgrund ihres Bevölkerungswachstums. Es findet eine Verschiebung von einer naturnahen Lebensweise zu einer mehr städtischen Wohnweise statt. Diese Verstädterung geht einher mit dem Druck der Bewohnerinnen und Bewohner, die Natur in die Stadt zu holen. Genf veranschaulicht diese Sehnsucht nach Natur. Sie ist die „künstlichste“ Stadt der Schweiz und gleichzeitig diejenige, in der es die meisten Initiativen für mehr Natur in der Stadt gibt. Die meisten Menschen brauchen die Nähe zur Natur. Das Ziel ist deshalb Stadtquartiere mit viel Natur zu entwickeln, mit besonderem Augenmerk auf die Landschaft und den Ausblick.

Nachhaltigkeit als Notwendigkeit

In Zukunft wird die Verstädterung in der Schweiz also weiter zunehmen, bedingt durch das Bevölkerungswachstum, die gesellschaftliche Entwicklung und die Notwendigkeit, die Ressource „Land“ besser zu nutzen. Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit im Wohnraum ist nicht länger eine Wahl, sondern eine Notwendigkeit. Und die Quartiere, die wir aktuell bauen, gehen bereits in diese Richtung. Wohnen in der Stadt zu einem erschwinglichen Preis, mit der Natur in der Nähe, ist durchaus möglich, vorausgesetzt, es gibt den politischen Willen, dies zu unterstützen. Die nächste Herausforderung, die wir angehen werden, ist die nachhaltige Umwand